Die große KI-Blase? Zwischen Infrastrukturrausch und Bewertungsillusion

1. Der neue Goldrausch im Silicon Valley
Ein neues Wettrennen hat vor wenigen Jahren begonnen – nicht mehr nur um Nutzerzahlen oder Plattform-Dominanz, sondern um Rechenleistung und KI-Infrastruktur. Meta Platforms, Google LLC (Alphabet), Microsoft Corporation, Amazon.com, Inc. sowie OpenAI investieren gigantische Summen in Rechenzentren, GPU-Farmen und Cloud-Strukturen. Meta etwa plant das Megaprojekt „Hyperion“ mit bis zu fünf Gigawatt Leistung – ein Maßstab für die neue Infrastrukturlogik.
Gewissermaßen wird Rechenleistung zu einer neuen Währung – gemessen in GW, Petaflops und GPU-Clustern. Gleichzeitig wird viel Geld in die Hand genommen: Meta investiert 2025 bis zu 72 Mrd. USD, teilweise über Zweckgesellschaften, um die Bilanz zu entlasten (siehe Bericht im FAZ-Artikel) [Quelle FAZ].
Auch OpenAI expandiert massiv, verliert Milliarden und hat noch kein dauerhaft tragfähiges Geschäftsmodell etabliert.
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2. Déjà-vu: Die Dotcom-Erinnerung
Wer die 1990er-Jahre erlebt hat, erkennt die Muster: Damals wurden Milliarden in Glasfasernetze, Kabelnetze und Start-ups investiert, getragen vom Glauben an das „Internet wird alles verändern“. Viele Firmen gingen unter, ihre Infrastruktur aber blieb und ermöglichte später Cloud, Streaming & Co.
Ähnlich könnte es diesmal sein: Eine massenhafte Überinvestition in KI-Infrastruktur, die zwar bleibt, aber nicht in allen Fällen in produktive Erträge umgemünzt wird.
Der Unterschied: Heute konzentrieren sich die Investitionen nicht auf viele kleine Firmen, sondern auf wenige Super-Konzerne mit globaler Reichweite. Damit verändert sich das Risiko – weg von Fragmentierung, hin zur Monopolbildung.
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3. Die Logik der Angst
Das entscheidende Motiv hinter den Investitionen ist weniger Optimismus als Furcht – die Angst, technologisch abgehängt zu werden, Marktführerschaft zu verlieren oder gar irrelevant zu werden.
Die Dynamik:
• Meta muss zeigen, dass die Milliarden nicht ins Leere laufen (nach dem Metaverse-Fehlschlag).
• Microsoft darf keine Lücke im Cloud-/KI-Business zulassen.
• Google kämpft um seine Such- und Werbeherrschaft im KI-Zeitalter.
Diese Furcht erzeugt einen Wettlauf-Mechanismus: Jede Investition rechtfertigt eine weitere, größere Investition. Der Kapitalmarkt interpretiert Summen als Zukunftssignal – und treibt Bewertungen weiter nach oben, obwohl die realwirtschaftliche Basis noch schmal ist.
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4. Die Kosten der Intelligenz
KI ist keine Software-Domäne, sondern industrielle Großproduktion: Das Training großer Modelle (z. B. Sprachmodelle mit vielen Milliarden Parametern) verschlingt erhebliche Strommengen, Hochleistungs¬chips und enorme Kühlungskapazitäten.
Nvidia Corporation etwa profitiert massiv – mit einem Marktwert über drei Billionen USD – doch das zeigt eine strukturelle Machtverschiebung: Hardware wird zur Eintrittsbarriere. Wer keine modernen Chips hat, kann kein relevantes Modell betreiben. Damit wird der Zugang zur KI-Wertschöpfung selbst restriktiv.
Der Betrieb großer KI-Modelle bleibt kostenintensiv, die Monetarisierung noch diffus. Selbst OpenAI schreibt Milliardenverluste trotz intensiver Nutzung.
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5. Die Illusion unbegrenzter Skalierung
Im Silicon Valley dominiert das Narrativ: Mehr Daten + mehr Parameter + mehr Rechenleistung = bessere Modelle. Doch diese Skalierungstheorie stößt zunehmend an ihre physischen und ökonomischen Grenzen:
• Rechenzentren benötigen große Mengen Strom, Kühlung und Wasser – infrastrukturell nicht trivial.
• Auf Seiten der Modelle: Größer heißt nicht automatisch besser – Effizienz, Qualität, Governance werden wichtiger.
• Modelle werden unzugänglicher – ihre Trainingskosten steigen, Interpretierbarkeit sinkt.
Die Größe selbst kann zum Maßstab werden – wie vor der Finanzkrise 2008, als Komplexität zur Instabilität wurde.
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6. Realitätstest: Produktivität und Profitabilität
Trotz des massiven Hype zeigt sich bislang keine breite Realwirtschafts¬wirkung: Wachstum der Gesamtproduktivität stagniert, viele KI-Anwendungen automatisieren nur bereits existierende Prozesse, statt völlig neue Wertschöpfung zu schaffen.
Der Ökonom Daron Acemoglu mahnt, dass viele Anwendungen keine neuen Märkte erschließen, sondern lediglich bestehende Arbeitsaufgaben effizienter machen.
Unternehmen sehen sinkende Margen im KI-Segment, da Skalierungskosten hoch bleiben – ein strukturelles Risiko für das Geschäftsmodell. “AI today is largely an automation technology, not a general purpose innovation engine.”
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7. Bewertungsfieber: Der Shiller-KGV-Befund
Ein Blick in die Bewertungskennzahlen zeigt: Die Märkte preisen Perfektion ein, bevor sie existiert.
Der Robert Shiller-entwickelte Cyclically Adjusted Price to Earnings Ratio (CAPE) – auch Shiller-KGV genannt – glättet Gewinnschwankungen über zehn Jahre und gilt als ein Frühindikator für Marktüberhitzung. (longtermtrends.net)
Für den US-Markt (S&P 500) lag der CAPE im Oktober 2025 bei etwa 39,5. (YCharts)
Historisch gesehen liegt der Durchschnitt bei rund 30,9.
Für Europa liegen valide CAPE-Daten seltener vor, doch für den MSCI Europe Index ist ein klassisches (Trailing) P/E von etwa 17,4-18,3 angegeben, mit einem Forward P/E von ~14,7 per Anfang 2025. (JPMorgan)
Die hohe US-CAPE impliziert: In Phasen mit CAPE über ~37 wurden zehnjährige kumulative Renditen historisch negativ oder stark unterdurchschnittlich (z. B. durchschnittlich –4,7 % über zehn Jahre mit Positiv-Wahrscheinlichkeit nur ~29 %) (Bruce Wood Capital)
Somit legt der Bewertungsindikator nahe: Ein Substanz-Risiko für eine Korrektur ist erheblich.
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8. Schuldenhebel: Der stille Brandbeschleuniger
Der entscheidende Unterschied zwischen der Dotcom-Blase 2000 und der KI-Welle 2025 liegt in der Finanzierungsstruktur:
Heute wird der Boom mit Schulden unterlegt – nicht nur bei Konsumenten, sondern auch bei Staaten und Konzernen.
Unternehmensverschuldung (Corporate Debt)
• Die Gesamtverschuldung der US-Unternehmen liegt laut Federal Reserve bei über 13 Billionen USD, rund 47 % des BIP – ein Rekordwert.
• Besonders hoch ist der Anteil von BBB-bewerteten Anleihen (unterste Investmentgrade-Stufe). Diese Firmen sind stark zinssensitiv.
• Der High-Yield-Spread (Renditeaufschlag gegenüber US-Staatsanleihen) liegt aktuell bei rund 450 Basispunkten, was neutral ist – ab 600 bp würde er das klassische Crashsignal senden.
Viele große Tech-Konzerne gelten zwar als solide, finanzieren ihre Infrastruktur-Offensiven jedoch über Anleihenprogramme und Leasingstrukturen (z. B. Meta, Oracle, Microsoft). Damit verlagern sie das Risiko in Zweckgesellschaften, ähnlich wie bei der Infrastrukturfinanzierung der 1990er-Telekombranche.
Staatliche Verschuldung
• Die US-Staatsverschuldung liegt 2025 bei über 34 Billionen USD (rund 125 % BIP).
• Zinszahlungen machen bereits 15 % der US-Bundeshaushaltsausgaben aus – doppelt so viel wie 2018.
• Diese Zinslast schränkt die Spielräume für expansive Fiskalpolitik ein. In früheren Blasen (1929, 2000, 2008) folgte der Bruch meist in Phasen, in denen Liquidität abfloss oder Refinanzierungen teurer wurden.
Private Verschuldung
• US-Haushalte sind mit rund 16 Billionen USD verschuldet, wobei Kreditkartenschulden erstmals die 1,4 Billionen-Marke überschritten haben.
• Das Konsumentenvertrauen bleibt stabil, aber steigende Kreditzinsen treffen gerade jüngere Anleger, die auch im Aktien- und Kryptomarkt engagiert sind.
Es gibt derzeit aber keinen Kreditexzess im klassischen Sinn – keine massenhaft gehebelten Derivate, keine riskanten Hypothekenstrukturen.
Doch die gesamtwirtschaftliche Verschuldung hat ein Niveau erreicht, das die Märkte anfällig macht: Sie ist in reale Investitionen gebunden, deren Ertragskraft zu langsam wächst.
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9. Liquidität und Zinsniveau
Der KI-Boom wurde durch eine Phase extrem niedriger Zinsen (2020–2022) und massiver Liquiditätsspritzen genährt, danach sind die Zinsen gestiegen.
Das Bild 2025:
Die Fed Funds Rate steht zurzeit bei 3,75 bis 4%,
Die Phase der quantitativen Straffung (QT) neigt sich dem Ende zu:
Die US-Notenbank hat ihre monatlichen Bilanzreduzierungen inzwischen deutlich verlangsamt – von ursprünglich rund 90 Milliarden US-Dollar auf nur noch etwa 5 Milliarden US-Dollar pro Monat bei US-Staatsanleihen.
Ein vollständiges Auslaufen der QT-Maßnahmen ist für Dezember 2025 angekündigt.
Damit signalisiert die Federal Reserve einen geldpolitischen Kurswechsel – weg von der Liquiditätsverknappung hin zu einer vorsichtigen Stabilisierung der Finanzierungsbedingungen.
Das ganze Papier hier: Blase oder Crash