Stablecoins: Die unterschätzte Finanzinfrastruktur
Warum Europa die digitale Geldordnung falsch versteht – und die USA längst Fakten schaffen
Stablecoins haben sich im Windschatten der Krypto-Diskussion zu einer tragenden Säule der digitalen Finanzinfrastruktur entwickelt. Allein 2024 wurden über 2,3 Billionen US-Dollar über Stablecoins abgewickelt – deutlich mehr als bei PayPal oder Western Union (Visa Crypto Report 2025). Während Europa noch darüber debattiert, ob Stablecoins gefährlich oder „nicht nötig“ seien, haben die USA längst entschieden: Stablecoins sind ein geostrategisches Instrument zur Sicherung der globalen Dollar-Dominanz.
Die neue Studie von Peter Bofinger (Stablecoins and the Future of Money, IMK 2025) erkennt dieses Potenzial – zieht aber eine vorsichtige, beinahe bremsende Schlussfolgerung. Er sieht in Stablecoins ein „potenzielles ergänzendes Zahlungsinstrument“ ; genau das aber wäre ein Rückschritt: Stablecoins sind nicht die Erweiterung des alten Systems, sondern das Fundament des neuen.
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Stablecoins sind keine „Kryptos“ – sie sind Settlement-Infrastruktur
Im Gegensatz zu volatilen Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether sind Stablecoins an reale Währungen wie den US-Dollar oder den Euro gekoppelt. Sie dienen nicht der Spekulation, sondern dem Transfer von Liquidität über Blockchains. Das bedeutet: rund um die Uhr, global, ohne Intermediäre – und mit finaler Abwicklung.
Heute sind USDT (Tether) und USDC (Circle) die dominanten Akteure. Beide sind vollständig gedeckt durch kurzfristige US-Staatsanleihen – sogenannte T-Bills – und gelten daher als „bond-based Stablecoins“. Diese Architektur ist sicherer als das bankbasierte Modell, das Europa mit der MiCA-Verordnung präferiert.
Als USDC 2023 durch Bankrisiken kurzzeitig seine Dollarbindung verlor (nach dem Kollaps der Silicon Valley Bank), zeigte sich, wie anfällig bankbasierte Stablecoins sind – und wie überlegen die Anleihedecke der bond-based Varianten ist (Coindesk, März 2023).
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Europa setzt auf das falsche Pferd: MiCA stabilisiert die Instabilität
Die MiCA-Verordnung der EU schreibt vor, dass „signifikante Stablecoins“ zu mindestens 60 % mit Bankeinlagen besichert sein müssen (MiCA, Art. 36). Damit werden EU-konforme Stablecoins automatisch riskanter – weil sie von der Stabilität einzelner Geschäftsbanken abhängig sind.
Ausgerechnet die sicherste und effizienteste Stablecoin-Konstruktion – T-Bill gedeckt, ohne Bankrisiko – wird damit in Europa faktisch verhindert.
Bofinger erkennt dieses Problem, formuliert es aber vorsichtig. In seiner Analyse wird deutlich, dass Euro-Stablecoins mit Anleihedepot regulatorisch benachteiligt werden – was faktisch bedeutet: Europa überlässt die digitale Währungsinfrastruktur dem US-Dollar.
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Stablecoins sind Dollar-Diplomatie in Echtzeit
Das ist nicht bloß ein Markttrend – es ist eine geopolitische Entwicklung. Präsident Trump ließ in seiner Executive Order vom Januar 2025 festhalten, dass Stablecoins „die weltweite Führungsrolle des Dollars sichern“ sollen (White House, 2025). Es war ein strategisches Statement – nicht nur zur Geldpolitik, sondern zur internationalen Ordnung.
• USDT und USDC haben über 80 % Marktanteil an allen Stablecoins weltweit (CoinGecko, 2025).
• Sie zirkulieren heute in über 190 Ländern, besonders in Volkswirtschaften mit schwachen Währungen.
• In Ländern wie Argentinien, der Türkei oder Nigeria hat sich eine „dollarbasierte Parallelwirtschaft“ über Stablecoins etabliert (IMF Working Paper Auer et al., 2025).
Was früher SWIFT war, ist heute USDT.
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Tether: Der stille Gigant der Staatsfinanzierung
Kaum beachtet von der breiten Öffentlichkeit ist die Rolle von Tether als Großinvestor in US-Staatsanleihen. Laut Unternehmensbericht für Q2 2025 hält Tether über 127 Mrd. US-Dollar in T-Bills – mehr als viele Länder (Tether Attestation, 2025).
Damit gehört Tether laut Coindesk zu den größten ausländischen Haltern kurzfristiger US-Staatsanleihen – direkt nach China und Japan (Coindesk, März 2025).
Zugleich erwirtschaftete Tether im Jahr 2024 einen Gewinn von 13 Mrd. US-Dollar – deutlich mehr als Deutsche Bank (4,9 Mrd.) und Commerzbank (3 Mrd.) zusammen (Reuters, 2025). Dieser Gewinn entsteht nahezu vollständig aus Zinserträgen auf US-Staatsanleihen – eine neue Form privater Geldschöpfung durch Kapitalmärkte, ohne Kreditvergabe, ohne Zentralbank.
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Kapitalflüsse statt Zinsen: Was Geldpolitik heute herausfordert
Die klassische Vorstellung, dass Geldpolitik über Leitzinsen die Wirtschaft steuert, ist durch Stablecoins überholt. Diese operieren außerhalb des Bankensektors – sie binden Liquidität direkt an Vermögenswerte (Anleihen) und umgehen damit die traditionellen Transmissionseffekte.
Geldpolitik verliert nicht primär die Kontrolle über Inflation – sondern über Kapitalflüsse. Das ist die wahre Herausforderung.
Statt Liquidität über Banken ins System zu bringen, entsteht sie heute durch Tokenisierung von Assets auf Blockchains. Diese Entwicklung ist strukturell – nicht spekulativ.
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Realwirtschaftliche Anwendungsfälle: Tokenisierung, Handel, Logistik
Stablecoins sind bereits heute fundamentale Bausteine im:
• Globalen Rohstoffhandel (z. B. Tokenisierung von Öl, Gas, CO₂-Zertifikaten)
• Lieferkettenmanagement (schnelle Abrechnung per Smart Contract)
• Tokenisierung von Real World Assets (RWA)
• Kreditvergabe in DeFi-Märkten, wo sie als Sicherheitsleistung hinterlegt werden
• Remittances (z. B. in Südostasien, wo Migranten USDT statt Banküberweisungen nutzen)
Diese Beispiele zeigen: Stablecoins sind Infrastruktur – nicht Anlageprodukt.
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Was Europa versäumt – und was jetzt zu tun wäre
Die Strategie Europas ist bislang: Regulierung zur Risikobegrenzung – nicht Gestaltung zur Wettbewerbsfähigkeit. Doch genau das ist notwendig. Statt Risiken zu dramatisieren, muss Europa eine souveräne Infrastruktur aufbauen.
Konkret:
1. Euro-Stablecoins auf Anleihen-Basis explizit zulassen
2. MiCA reformieren: Bankeinlagenpflicht streichen oder flexibilisieren
3. Zugang zu EZB-Rücklagen für lizenzierte Emittenten prüfen
4. Digitale Zentralbankinfrastruktur öffnen für Privatlösungen (API-Modell)
5. Integration von Stablecoins in die Tokenisierungspolitik der EU (MiCAR, DLT Pilot Regime)
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Das ganze Papier hier: Stablecoins Bofinger.docx2-2