Staatsanleihen sind spannender als gedacht
Über Jahrzehnte galten Staatsanleihen als verlässliches Rückgrat vieler Portfolios – solide, kalkulierbar, sicher. Besonders konservative Anleger betrachteten sie als ruhigen Gegenpol zur schwankungsfreudigen Aktienwelt. Doch die Finanzmärkte haben sich seit der globalen Finanzkrise 2008 tiefgreifend verändert – und mit ihnen das Risikoprofil von Staatsanleihen. Spätestens der Anleihe-Crash im Jahr 2022 hat viele Anleger aufgeschreckt.
Der Mythos der Sicherheit
Der Ruf von Staatsanleihen beruht auf einem einfachen Gedanken: Staaten westlicher Demokratien werden nicht zahlungsunfähig. Dieser Glaube hat lange Zeit Investoren beruhigt und dazu geführt, dass Papiere wie deutsche Bundesanleihen oder US-Treasuries als „risikofrei“ eingestuft wurden. In der Praxis bedeutet das jedoch nur, dass das Ausfallrisiko niedrig ist – nicht aber, dass es keine Verluste geben kann.
Ein Beispiel dafür liefert die Euro-Schuldenkrise der Jahre 2011/2012. Damals mussten Länder wie Griechenland und Italien zweistellige Zinsen bieten, um Käufer für ihre Anleihen zu finden. Deutlich wurde: Es gibt auch innerhalb der Euro-Zone unterschiedliche Risikoabschätzungen. Während deutsche Bundesanleihen mit geringer Rendite solide erscheinen, tragen italienische oder französische Staatsanleihen ein höheres Zinsversprechen – als Ausgleich für das höhere Haushaltsrisiko.
Die 60/40-Regel auf dem Prüfstand
Lange galt die Faustregel: 60 % Aktien, 40 % Anleihen – so balanciert man Risiken. Der Gedanke dahinter: Verlieren Aktien an Wert, steigen die Kurse von Anleihen – und umgekehrt. Doch diese negative Korrelation existiert nicht verlässlich. 2022 war das Paradebeispiel dafür: Infolge von Lieferengpässen, dem Ukrainekrieg und drastisch steigenden Leitzinsen verloren sowohl Aktien als auch Staatsanleihen deutlich an Wert. Langlaufende Staatsanleihen gaben um bis zu 20 % nach – ein Verlust auf Aktienniveau. Hochzinsanleihen (die als riskanter gelten) verloren sogar weniger.
Ein weiteres Warnsignal kam im Frühjahr 2024 aus den USA: Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen und die aggressive Zollpolitik von Ex-Präsident Donald Trump verunsicherten die Märkte erneut. US-Staatsanleihen, die lange als sicherer Hafen galten, verzeichneten zeitweise Kursverluste wie seit über 30 Jahren nicht mehr. Parallel dazu brachen auch Aktienkurse und der US-Dollar ein – ein Ausverkauf auf breiter Front. Das Vertrauen in die Stabilität amerikanischer Fiskalpolitik wurde schwer beschädigt. Für Anleger ist das ein klares Signal: Selbst Treasuries sind in einer politisch und wirtschaftlich instabilen Welt nicht mehr automatisch verlässlich.
Anleger, die Anleihen bis zur Fälligkeit halten, können solche Kursverluste theoretisch aussitzen. Doch viele investieren über Anleihefonds oder ETFs – diese handeln die Papiere fortlaufend und reagieren auf Marktveränderungen. Das erhöht die Kursrisiken, vor allem bei unerwarteten Zinsbewegungen. Fondsmanager müssen zudem bestimmte Laufzeitbänder einhalten, was ihre Flexibilität einschränkt.
Was beeinflusst den Kurs von Anleihen?
Zentral für die Bewertung von Anleihen ist die Geldpolitik. Steigen die Leitzinsen, verlieren bestehende Anleihen mit niedrigerem Zinskupon an Attraktivität – ihre Kurse sinken. Umgekehrt steigen die Kurse, wenn die Zinsen fallen. Zusätzlich spielt die Inflation eine Rolle: Hohe Inflation entwertet zukünftige Zinszahlungen. Auch Ratingagenturen wie Moody’s oder Standard & Poor’s beeinflussen die Anleihemärkte: Je schlechter die Bonität eines Landes, desto höher das Risiko – und desto höher der Zins, den Anleger fordern.
Bei den USA wächst nun zusätzlich die Sorge, dass politische Unsicherheiten – etwa eine mögliche Rückkehr Trumps ins Amt – zu einem unberechenbaren Schulden- und Haushaltskurs führen könnten. Bereits heute zweifeln manche Investoren an der langfristigen Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten, was sich in höheren Risikoaufschlägen niederschlägt.
Wo stehen wir heute?
Nach der Zinswende und der zurückgehenden Inflation beruhigen sich die Märkte wieder. Damit kehrt auch ein gewisser Gleichgewichtssinn in den Anleihemärkten zurück – allerdings nur bedingt (siehe US-Politik).
Gerade in einem Umfeld sinkender Zinsen und konjunktureller Unsicherheit könnten länger laufende Staatsanleihen wieder attraktiver werden. Denn in Rezessionsphasen schneiden sie oft besser ab als Aktien oder Unternehmensanleihen. Auch Anleihen aus Frankreich oder Italien können – trotz höherer Risiken – in einem diversifizierten Rentenportfolio zur Renditesteigerung beitragen.
Für Privatanleger heißt das: Staatsanleihen sind weder langweilig noch automatisch sicher – sie sind ein aktiver Teil des Kapitalmarkts mit eigenen Regeln. Wer sie versteht, kann sie strategisch einsetzen.