Der DAX, der deutsche Leitindex, feiert aktuell beeindruckende Erfolge: Über 20.000 Punkte hat er kürzlich überschritten – eine Verzehnfachung seit 2014 und ein historischer Meilenstein seit seiner Einführung im Jahr 1988. Dennoch ist der Glanz dieser Erfolgsgeschichte trügerisch. Ein genauer Blick offenbart tiefere strukturelle Probleme im deutschen Kapitalmarkt, die nicht nur das Wachstum innovativer Unternehmen hemmen, sondern auch viele Privatanleger um die Chancen auf Vermögensaufbau bringen (Bezug zu einem Artikel in der FAZ vom 9.12.24).
Die Geschichte des DAX: Glanz und Rückschläge
Der DAX startete in einer günstigen Marktphase nach dem Börsencrash von 1987 und profitierte von der Erholung der Märkte. Doch wer hoch steigt, kann auch tief fallen. Die Dotcom-Blase in den frühen 2000er Jahren und die Finanzkrise 2008 führten zu drastischen Rückschlägen mit Verlusten von über 40 Prozent in einzelnen Jahren. Trotz dieser Krisen ist die langfristige Performance beeindruckend: Eine durchschnittliche Rendite von acht Prozent pro Jahr, inklusive Dividenden, macht den DAX zu einer soliden Anlage.
Jedoch sagt die Geschichte des DAX wenig über die Tiefe und Breite des deutschen Kapitalmarkts aus. Zwar wurden die ursprünglich 30 Titel im Jahr 2021 auf 40 aufgestockt, doch die Auswahl zeigt eine bemerkenswerte Statik. Viele der heutigen DAX-Unternehmen gehören zu den Gründungsmitgliedern oder etablierten Branchenriesen, während junge, innovative Firmen rar sind.
Mangel an Innovation im DAX
Im Vergleich zu den „glorreichen Sieben“ an der Wall Street – darunter Amazon, Google und Tesla – wirkt der DAX geradezu veraltet. Unternehmen wie Nvidia oder Facebook, die in den letzten Jahrzehnten enorme Erfolge gefeiert haben, fehlen in Deutschland. Selbst SAP, eines der wenigen deutschen Tech-Erfolgsgeschichten, ist mit seinen 52 Jahren kein junges Unternehmen mehr.
Ein besonders prägnantes Beispiel für den Innovationsmangel ist Zalando. Als einer der wenigen Tech-Vertreter im DAX ist Zalando eine Ausnahme, doch auch hier fehlt es an vergleichbaren Erfolgsgeschichten. Andere Tech-Unternehmen wie Delivery Hero oder HelloFresh mussten den Index aufgrund massiver Kursverluste wieder verlassen. Der Markt mangelt an Risikobereitschaft, um junge Unternehmen nachhaltig zu fördern und im Index zu etablieren.
Das Problem der geringen Börsentiefe
Ein tiefer liegendes Problem ist die generelle Zurückhaltung deutscher Unternehmen gegenüber der Börse. Während in den 1950er Jahren noch fast 700 Unternehmen in Deutschland börsennotiert waren, sind es heute kaum mehr als 400. Delistings übertreffen seit Jahren die Anzahl neuer Börsengänge. Ganze Branchen wie Textil, Bergbau oder Brauereien sind nahezu verschwunden.
Das bringt Probleme für Anleger mit sich, die in den DAX alleine investieren (Home bias) und somit sehr einseitig ausgerichtet sind.
Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung sind die hohen regulatorischen Anforderungen an börsennotierte Unternehmen. Quartalsberichte und ad-hoc-Mitteilungen schaffen zwar Transparenz, schrecken aber viele Gründer ab, die den Aufwand und den ständigen Druck der Öffentlichkeit scheuen. Der deutsche Markt ist dadurch stark von Bankkrediten geprägt, während Eigenkapitalfinanzierungen, wie sie in den USA üblich sind, eine Ausnahme bleiben.
Internationale Vergleichsperspektive
Ein Blick auf den globalen Kapitalmarkt zeigt, wie unterschiedlich Länder mit der Börse als Finanzierungsinstrument umgehen. In den USA beträgt die Marktkapitalisierung der börsennotierten Unternehmen über 63 Billionen Dollar – mehr als die Hälfte des weltweiten Börsenwerts. Deutschland hingegen macht zwar 3,2 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung aus, doch die Marktkapitalisierung liegt um ein Viertel darunter.
Die USA demonstrieren eindrucksvoll, wie Risikobereitschaft in der Geldanlage zu Wohlstand führt. Unternehmen wie Apple, Microsoft und Nvidia haben durch den Kapitalmarkt nicht nur ihre Branchen revolutioniert, sondern auch Anlegern enorme Vermögen geschaffen. Bezogen auf das BIP: das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf war im Jahr 2022 laut Statista in den USA um etwa 24,5 Prozent höher als in Deutschland. Seitdem ist dieses Gap gewachsen.
Verpasste Chancen für Anleger
Für deutsche Privatanleger bedeutet diese Entwicklung entgangene Chancen. Während in den USA Millionen Anleger von der Wertsteigerung innovativer Unternehmen profitieren, bleibt deutschen Anlegern oft nur der Zugang zu etablierten Industriekonzernen. Das Bewusstsein für langfristige Aktieninvestitionen ist in Deutschland noch wenig verbreitet, was durch die Unsicherheiten und die Bankendominanz verstärkt wird.
Eine breitere Börsenkultur könnte hier Abhilfe schaffen. Es braucht mehr Bildung, um Anlegern die Vorteile von Eigenkapitalinvestitionen näherzubringen, und eine stärkere Förderung von Start-ups, die langfristig die Wirtschaft diversifizieren könnten. Stattdessen setzen viele Deutsche weiterhin auf traditionelle Sparformen wie Tagesgeldkonten oder Lebensversicherungen, die in Zeiten niedriger Zinsen kaum noch Renditen abwerfen.
Fazit: Der DAX als Spiegel eines ungenutzten Potenzials
Der DAX ist zweifellos ein Erfolg in der deutschen Wirtschaftsgeschichte und hat sich als Leitindex etabliert. Doch seine Stärke überdeckt strukturelle Schwächen des deutschen Kapitalmarkts, die langfristig das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft einschränken. Ein starrer Index mit wenigen jungen Unternehmen und ein Finanzierungsmarkt, der stark auf Bankkredite setzt, lassen viele Chancen ungenutzt. Es ist kein neues Narrativ, dass die Kapitalmärkte insgesamt die Menschen reicher machen können, auch wenn einige etwas reicher als die anderen werden. Und auch hier kann wieder auf Krypto hingewiesen werden: die Werte schwanken zwar stark, aber zeigen ein hohes Maß an Renditepotential. In einer dynamischen Ökonomie sind diese Schwankungen „Gold“ wert.